Chapter 8

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Und wenn die Welt auf einmal aufhört sich zu drehen

Ich habe heute mal unseren Blog von vorne gelesen und bin selber ganz erstaunt, was wir schon geschrieben haben und welche Ängste und auch Wünsche und Vorstellungen sich bewahrheitet haben. Es ist unglaublich, was Nepal mit uns macht, irgendwie sind wir grade alle auf unserer eigenen Reise uns selbst kennenzulernen. Jedenfalls begegnete ich mir selbst hier auf den Dächern Nepals, auf deren Straßen und auch in den Nächten ehrlich gesagt öfter, als mir lieb war. Ich musste feststellen, was für ein Angsthase ich bin, denn ich renne immer weg, wenns brenzlig wird. Und selbst Nepal war oder ist eine Flucht vor etwas ganz großem, was ich selbst nicht kenne, vielleicht bin ich es selbst, vor der ich wegrenne. Aber Nepal ist so weit weg, dass ich weiter nicht rennen kann, denn die Erde ist leider eine Kugel und letztendlich würde ich mir selbst immer wieder begegnen oder mich selbst überrunden.. Und auch wenn ich gerne noch schneller rennen würde, ich kann es nicht und Nepal ist für mich das Ende der Welt und da steht nun jemand, der sich nicht wegbewegt – und das bin ich selbst. Ich kann nicht mehr wegrennen und das ist eine schmerzhafte, wenn natürlich auch wahnsinnig gute Erfahrung für mich. Einerseits möchte ich weinen und Mama rufen, auf der anderen Seite möchte ich weinen – vor Glück. Es ist, wie gesagt, unglaublich. Ich finde hier so viel Zeit, mich aus einer fremden Perspektive zu beobachten und erfahre so viel, sehe so viel und beschäftige mich mal mit mir selbst. Zuvor dachte ich immer, dass es zu egoistisch sei, über sich selber nachzudenken. Ich verschwende viel zu viel Zeit damit, darüber nachzudenken, was andere wohl von mir halten, wenn ich dieses oder jenes mache oder sage.
Ich wünsche euch allen, dass ihr euch Zeit für euch selbst nehmt! Sagt einfach mal alles ab, zieht den W-Lan Stecker und überhaupt alle Stecker und setzt euch hin, schließt die Augen und atmet einfach mal!
Wir sind so klein. Es gibt so viele Menschen auf diesem wunderschönen Planeten und was wir aus diesem Geschenk des Lebens machen, liegt einfach an uns selbst. Und auch wenn sich das nach totalem Geschwafel anhören mag, wie aus einem billigen Kalender, so ist es eine der kostbaren Erfahrungen, die ich Nepal zu verdanken habe: Macht euch los von Verantwortung, macht euch los von Erwartungen, die andere an euch stellen, und macht einfach mal das, wonach euch ist! Egal, ob es einmal nackig übern Marktplatz rennen ist oder den Job zu kündigen und das zu machen, wofür ihr brennt! Mein Papa macht alle zehn Jahre eine neue Ausbildung, und würde, so glaube ich, alles nochmal genauso machen : ) Macht das, wonach euch ist und nicht, weil andere es von euch erwarten. Macht es so, wie ihr es machen würdet, als wenn es keiner wüsste, als wenn keiner zusehen würde und keiner davon je erfahren kann. Und letzten Endes funkeln die Augen eures Gegenübers, wie man so mutig sein kann, dabei habt ihr einfach nicht darüber nachgedacht, ihr habt es einfach gemacht – ohne euch dabei selbst zu Ernst zu nehmen. Das ist wohl meine größte Herausforderung, die ich mir selbst stelle.
Wer weiß, was nach dem Tod passiert – vielleicht erwartet uns eine Meute von Menschen, die alle wie gespannt darauf warten unsere spannende Geschichte des Lebens zu hören.

Ich weiß nicht, was es genau ist, was diese Zeilen, diese Gedanken in mir auslöst und ich weiß auch nicht, ob man mir folgen kann, und ihr müsst euch auch keine Sorgen machen – ich habe mich selbst und alles andere um mich herum nur noch nie so sehen können.
Wenn ich auf dem Dach sitze, fühle ich mich wie in einer Blase, schau hinunter zur roten Backsteinstadt und meine Gedanken werden immer schneller, was da unten wohl grade passiert?! Jetzt, genau in diesem Moment, balancieren Motorräder um schlafende Hunde und umherirrende Hühner. Woanders bringt eine Frau ein Kind zur Welt und auf der anderen Seite des Flusses wird eine Leiche verbrannt und Kerzen werden ins Wasser gelegt, währenddessen Räucherstäbchen vor sich hin glühen. Jemand anderes bereitet den Laden vor, da der Tag anfängt und man hofft, großes Geld mit ihm machen zu können oder weil der eigene Vater es von einem erwartet. Woanders wünscht sich jemand anderes nichts lieber als einen Job, um sich etwas zu Essen kaufen zu können. Irgendwo auf der Welt verlieben sich grad zwei Menschen ineinander und für sie fühlt es sich an, als würde die Welt aufhören sich zu drehen und jemand anderem wird grad das Herz gebrochen und wünscht sich, die Welt hört auf sich zu drehen.

Ich möchte euch ganz viel Liebe senden und wünsche euch, dass auch ihr eure Judith an eurer Seite finden werdet, wenn ihr sie nicht schon gefunden habt, um all diese Erfahrungen teilen zu können, um sich nicht dabei erklären zu müssen, um sich allein über Gedanken unterhalten zu können oder nachts zu wärmen –  egal, wahres Glück empfindet man nur dann, wenn man es teilen kann.

und somit widmen sich diese Abendgedanken an mein ganz großes Glück meines Lebens, eine Ode an Judith.

In Liebe

Melli

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