Chapter four

Vom Alltag und gefährlichen Weintrauben

Wir sitzen in der Küche, 19 Uhr, – bei euch 14.30 – und führen Nerd-Gespräche über Sprachfamilien. Es ist wirklich lustig mit uns drei Germanistinnen in einer WG, die ständig didaktische Probleme erörtern^^ (für Oma und Opa: ein Nerd ist ein Streber). Und irgendwie müsste mal ein neuer Blogeintrag her; vor allem haben wir bisher nie unsere Arbeit bei der VHS beschrieben.
Davor haben wir uns bisher ganz schön gescheut, unter anderem deswegen, weil viele Schüler via Google-Translater mitlesen (Junesh! You know do!!!) ;).
Ich würde sagen inzwischen sind wir hier im Arbeitsleben angekommen und haben einen kleinen Alltag entwickelt. Julia und ich gehen um 7.00 aus dem Haus, tippeln verschlafen zwischen Ziegen, Hühnern und kleinen Kindern zur Arbeit. Außerdem laufen wir durch ein kleines Kloster und da passiert jeden Tag was anderes spannendes. Heute wurden überall Tauben gefüttert – aber selbst ein nepalesischer Mitarbeiter konnte uns das nicht erklären. Es gibt etliche Zeremonien und ich denke, dass keiner einen richtigen Überblick hat. Außerdem passieren wir eine Brücke, von der wir eine Zeremonie beobachten konnten, bei der irgendwas verbrannt wird (wir dachten erst, es wären Leichen, aber anscheinend findet diese Beerdigungen woanders statt) und alle Beteiligten setzen Lichter ins Wasser. Stellt euch das mal vor, eine neblige verschlafene Backsteinstadt, ein Fluss und eine Gruppe von Menschen in Saris, die zum Sonnenaufgang an einem Fluss versammelt sind. Einmalig und zu heilig, als das ich meine Kamera zücken könnte.

Eine weitere Sache, die mich von uns dreien wohl am meisten beschäftigt, ist die welche Tiere ich streicheln darf und welche nicht. Denn viele sind heilig oder haben Krankheiten (alle Straßenhunde – aber die Welpen sind so süß!!). Aber Ziegen waren bis jetzt ganz ok. Ein Huhn durfte ich schon streicheln, denn das hat mir eine alte Omi hingehalten und aufgeregt mein „Hühnchen – Hühnchen“ wiederholt.
Julias A1 Kurs (totale Anfänger) fängt dann halb acht an. Ihr Schüler ist ein total lieber Kinderarzt, der gern in Deutschland arbeiten will, was aber wohl noch ein bisschen dauern wird, sagt sie… : )
Ich habe noch eine Stunde Zeit, mich auf meinen A2 Kurs vorzubereiten und bastel Memorie oder versuche mir die Relativsätze zu erklären (WIE SCHWER DIESE BLÖDE SPRACHE IST!). Dann geht mein 1,5 stündiger Kurs los  und das macht mir wirklich Spaß muss ich sagen. Wir lachen viel und ich versuche meinen ganzen didaktischen Fächer auszubreiten. Lustig war, als wir die –chen-Form behandelten (das HündCHEN, das MädCHEN) und meine Klasse ganz schön schnell auf den Trichter kam, dass man keine Artikel mehr lernen muss, wenn man alles verniedlicht „das Stühlchen, das Messerchen…etc“. hihi.

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Melli läuft allein um acht zur Arbeit und wird dabei schon ganz anders angeguckt, weil es mehr als ungewöhnlich ist, eine Frau und noch dazu weiß – allein durch Nepals Gassen laufen zu sehen. Doch nach und nach kennt man Melli schon, da es immer die gleichen kifftenden Omis sind, die sie passiert.
Aber was den Weg von uns allen säumt, ist das uns immer wieder durch Mark und Bein fahrende, einmalige Geräusch: CCHHHRRRSCHÜÜ platsch. Und zwar scheint es hier Gang und Gebe zu sein, seinen Schleimhaushalt aus Rachen und Nase durch lautstarkes Ausscheiden auszugleichen. Das war elegant ausgedrückt aber tatsächlich rotzen alle NepalesInnen ungeniert – ständig (!!!) überall hin, vielleicht liegt es an den nicht vorhandenen Taschentüchern. Am erstaunlichsten ist dabei wohl noch die Lautstärke. Das Geräusch weckt uns am Morgen, begleitet uns zur Arbeit und ist unser Schlaflied. Verrückt. Wenn wir wiederkommen… naja ihr wisst bescheid 😉
Danach haben wir alle zusammen Nepali-Kurs; cho-hung-wink-joo.. So klingt das und wir sind nicht sehr gut drin. Aber wir können schon Tee auf Nepali bestellen (dui ducia)…Wenigstens etwas^^.
Dann müssen wir ganz schnell aufs Dach rennen, denn in der VHS ist es richtig, richtig kalt – Nordausrichtung und keine Heizungen. Natürlich nicht. Auf dem Dach ist es voll warm und da bekommen wir sofort Sonnenbrand – aber Mama ich creme mich immer ein und trotzdem passiert das!
Gegen eins gibt’s Daalbhaat zum Mittag, jeden Tag, immer. Zum Glück haben wir einen Koch, der das perfektioniert hat – wie auch anders, wenns das täglich gibt.
Nach dem Mittag teilen Melli und ich uns einen Kurs, B1 – nur drei Schüler, von denen zwei an der VHS arbeiten und wir dadurch ein sehr entspanntes, vertrautes Verhältnis im Unterricht haben.
Dann müssen schon die Stunden für den nächsten Tag vorbereitet werden und so kommts, dass wir erst um vier oder fünf Feierabend haben, denn jeder Kurs findet täglich statt…. Das ist anstrengend und irgendwie habe ich persönlich vergessen oder ausgeblendet, dass wir zum arbeiten hergekommen sind^^… Die Abenteuer warten also am Wochenende auf uns oder nach 17Uhr, einkaufen, Tee trinken, schlafen – Abenteuer genug. Ein Dialogbeispiel: Judith vorsichtig fragend: „Wollen wir uns heute mal an Weintrauben heranwagen?“ (man muss in Nepal eins wissen: HEAT IT, PEAL IT OR LEAVE IT!!! Also niiiieeeemals Weintrauben essen!!! Da man sonst den Durchfall seines Lebens unterzeichnet hat…) Julias Antwort also mit aufgerissenen Augen und tiefer Stimme: „AUF KEINEN FALL!!!“ (alle lachen..)

Was ich noch unbedingt beschreiben will, wovon es keine Fotos gibt.
Also der Verkehr hier ist ja das Verrückteste auf der Welt. Das könnt ihr euch nicht vorstellen; Linksverkehr, scheinbar keine Regeln, nur Hupen – um auf sich aufmerksam zu machen. Auf ein Auto kommen 10 Motorroller, beladen mit 1-4 Menschen, die alle möglichen Sachen transportieren.
Als wir zu der Organisation nach Kathmandu gefahren sind, durfte ich bei  Saroj hinten auf dem Motorrad mitfahren – ohne Helm, Schnellstraße, knallende Sonne und ein Adrenalinausstoß der besonderen Sorte.
Sowas hab ich noch nicht erlebt! Begeisterung und Erstaunen und Angst, das alles nicht zu überleben, waren Emotionen, die in mir kreisten. Und lauter Smog und Staub in meiner Lunge und meinem Gesicht. Aber boar, ich glaube, ich habe gequietscht vor Spaß an der Sache. Links und rechts um vollgequetschte Autos und Busse ging es herum – und Blicke von allen Seiten, denn auf weiße Mädchen auf dem Motorrad ist keiner hier gefasst. Und da passiert kein Unfall, obwohl dann plötzlich Leute über die Straße laufen, dann Autos die Straße kreuzen, alle anhalten und wieder beschleunigen… Aber hey, ich habs überlebt.

Ich vermisse warmes Wasser, – zum abwaschen, duschen, Hände waschen… Das musste raus…
Ich drücke euch alle ganz, ganz doll! Lasst mal was von euch hören, das ist sonst so einseitig 🙂
Liebste Grüße Judith

PS: Melli hat Dünnschiss. (O-Ton. Thats what she said:…haha) Vielleicht hat sie Heimlich Weintrauben gegessen.. Haha – Großartig!

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Keine Postkarte, sondern der Blick von unserem Dach! Immer noch unglaublich!

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Judith lernt zählen

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bei den bunten Fähnchen wohnen wir Unsere Hood ♥ (= unser zu Hause)

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Ein Gedanke zu „Chapter four

  1. Vorweg: Melli, gute Besserung! Hoffentlich hast du das bald überstanden.

    Ansonsten finde ich, dass eure ganze Reise nach genug Abenteuer klingt, da muss man sich nicht unbedingt auch noch Durchfall einfangen!
    Außerdem ist das richtig cool, dass ihr unterrichten könnt, euch ausprobieren könnt es scheinbar auch noch Spaß macht. Was will man mehr?
    Die Fotos sind alle (natürlich) wunderschön und ich wäre so gern mit euch vor Ort, meinetwegen würde ich auch unterrichten. 😉

    Ich habe euch lieb und passt gut euch auf! ❤

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