Chapter Five

Manchmal passieren so Sachen, die einen komplett unvorbereitet treffen und man die Dinge dann auf einmal ganz anders sieht.

Melli, Julia und ich sind heute nach einem laangen Arbeitstag zurück zu unserer Wohnung gegangen. Unser einwöchiges Ritual besteht darin, vorher einen Tee auf dem Square direkt vorm Haus zu trinken. Direkt bei einem Tempel lassen wir dann den Tag ausklingen, neben uns heute zwei Ziegen und die üblichen Gruppen alter, ebenso teetrinkender Männer um uns herum.
An was ich mich so langsam gewöhne, sind die bettelnden Kinder – denen ich anfangs nichts entgegen bringen konnte, außer mitleidige Blicke. (bettelnde Kinder! Oh Gott…) Aber wir haben gelernt, dass die Kinder meist von Erwachsenen geschickt werden und Geld besorgen sollen. Einen Apfel oder einen Keks hatten wir meist auch dabei und der konnte dann Abhilfe verschaffen. Dann kam heute Nachmittag ein 11 jähriges Mädchen zu uns, welches super Englisch sprechen konnte und kein Geld wollte, sondern ein Schulbuch. – Das logischste der Welt denkt man, wohl – klar kaufe ich dir ein Schulbuch! Helfen wo man kann und so… Tatsächlich haben die Kinder aber einen Deal mit den Buchhändlern (zum Glück haben wir im Vorfeld erfahren, dass die Nummer mit dem Schulbuch bei den Touris öfter ausprobiert wird) und wenn dann ein ahnungsloser Mensch denkt, hier helfen zu können, mit dem Mädchen zum Laden geht und das Buch kauft, ist es tatsächlich so, dass das Mädchen das Buch anschließend  wieder zum Händler bringt und Geld dafür bekommt. Das bekommt nicht sie, sondern ein Mensch im Hintergrund… Gefuchst gemacht und funktioniert sicher sehr gut..

Wir gingen also weiter, zu unserem Tee-Mann, warteten auf unser geliebtes Heißgetränk, als ein Mann mit einer offensichtlich geistigen und körperlichen Behinderung direkt auf uns zusteuerte. Er konnte nur mit Hilfe eines Stockes laufen und hatte selbst dabei große Probleme. Nun saßen wir da, er direkt vor und und fragte nach einer Rupie. Kaum beschreiblich, dieser Moment. Scham, das Wissen, dass Geldspenden keine wirkliche Hilfe sind und das unangenehme Gefühl, ließen uns ebenso hilflos aussehen. WIr warfen uns verzeifelte und fragende Blicke zu, „was sollen wir tun“- „sag du was“ – „nein, sag du was“ – und er stand einfach gebückt da und schaute uns an. Dann hat eine von uns verneint und er humpelte weiter. „Aber wir müssen ihm doch helfen … wie ist es denn hier mit Behinderten?“ Ahnungslosigkeit und drei verzweifelte Mädchen in einer fremden Kultur. Wir kamen zu dem Schluss, dass wir irgendwas machen müssen, aber Geld  wahrscheinlich nichts bringen würde. Kurzerhand wühlten wir ein paar Rupien zusammen und ich ging zum nächsten Gemüse-und-Obst-Fahrrad-Händler und kaufte 3 Bananen. Er war inzwischen schon um die Ecke gegangen und ich lief unsicher hinter ihm her, umrundete ihn halb und hielt ihm die Bananen hin. Er schaute mich iritiert an, reagierte nicht und wendete sich zur Wand, was aber auch daran gelegen haben könnte, dass er sein Gleichgewicht nicht hielt. Also legte ich die Bananen auf den Fenstersims direkt vor ihm und ging zurück… Dann saßen wir da und waren sprachlos über unserem dampfenden Tee und mir rollen die Tränen das Gesicht runter. Ich hab bis jetzt keine Ahnung, wie und ob die Behindertenversorgung hier geregelt ist… Doch kann man sich das ja irgendwie denken. Noch dazu kommt die geistige und körperliche Behinderung meines großen Bruders Oliver, der in Deutschland Teil eines sozialen Systems ist, dass sich auch um Menschen mit besonderen Fähigkeiten kümmert. Schwer zu beschreiben, aber die Vorstellung, dass das in so vielen Ländern nicht geregelt ist oder unter den Teppich gekehrt wird, bewegt uns alle. Wenn ich an die Ein-Kind-Politk in China denke, oder Nationen in denen gehofft wird, dass das erstgeborene Kind ein Junge und Stammhalter der Familie ist, wird mir ganz anders…

Das schlimmste war die Hilflosigkeit die uns überkam und bis jetzt grübeln lässt. Und vielleicht die EInsicht, dass nicht jedem oder jeder von uns geholfen werden kann.

Ihr seht, nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen – aber vielleicht eine wichtige Lektion.
Viele Grüße von Judith, Melli und Julia – aus dem warmen Bett.

Eine gute Nachricht zum Schluss: zufriedenstellender Stuhlgang.

5 Gedanken zu „Chapter Five

  1. Liebste Putz,
    ich kann die Situation so gut nachfühlen…wie oft fühlte ich mich auch einfach nur hilflos…doch leider ist es wirklich so, dass nicht immer Hilfe anderer Art (neben dem Geld gewollt) ist…ich habe dazu ein sehr spannendes Buch gelesen, es heißt das Gleichgewicht der Welt, du musst es unbedingt mal lesen, wenn du wieder da bist, denn da wird ziemlich genau beschrieben, wie das Betteln und die Obdachlosigkeit funktioniert…auch dort gibt es wie bei den Kindern einen Boß, dem das Geld am Ende des Tages gegeben wird und dafür sorgt dieser für Schlafplatz oder essen und ist meist selbst richtig reich, gegenüber den armen Gestalten, diese wehren sich jedoch nicht, denn sie sind im Kastensystem ganz unten, obwohl sie heilig sind und nicht verbrannt werden müssen, um wiedergeboren zu werden, das habe ich nie verstanden, wahrscheinlich weil sie in dem jetzigem Leben schon genug gelitten haben…ich muss dann immer an den Satz denken, den ihr auch schon gesagt bekommen habt…man hat Glück in welchem Land man geboren wird und welche Chancen man dann oft hat…vielleicht hat er die Bananen genommen, vielleicht auch nicht…aber leider kann so schnell kein ganzes System gekippt werden und das kuriose ist, manchmal möchten es die Menschen auch nicht…mich hat dein Eintrag auch tief bewegt…aber solche Momente sind auch wichtig, öffnen uns die Augen für die Selbstverständlichkeiten, die wir genießen können…drücke Sari

  2. Moin ihr drei (auch wenn ich eigentlich nur zwei von euch kenne):-). Auch Katja und ich haben inzwischen ein kleines Ritual. Euren Blog zu lesen. 🙂 Die beiden letzten Kapitel unterscheiden sich emotional ja schon ganz schön voneinander. Aber ich glaube, wenn man versucht mit einem gesunden Blick durch eine solch völlig fremde Kultur zu gehen und sowohl das Leid, als auch die Freude, die Schönheit aber auch (mir fällt leider kein anderes Wort ein) betrügerische sieht dann merkt man schnell was richtig und falsch ist. Ob man dann das vermeintlich Richtige tut oder dann doch lieber auf den Bauch hört steht auf einem anderen Blatt und macht es doch letztendlich menschlich. So genug Philosophiert. Ich freue mich natürlich auch das es eurer Darmflora besser geht (so habe ich zunindest den letzten Satz verstanden .:-))und freue mich auf weitere Kapitel. Lasst es euch gut gehen. Viele Grüße aus Bårlin. Lars.

    • Oh ihr zwei Lieben! Wir lagen gestern ganz warm eingekuschelt im Bett, denn es war so kalt, dass man den eigenen Atem in der Luft dahinziehen sah und dann lasen wir eure Zeilen.. Die Kaelte war wie dahin gepustet und wir lagen mit einem breiten Laecheln im Bett und machten alle das gleiche Gerausch „Ohhhhhhhhh!!!! Wie schoen!!!“ Wir haben uns so sehr gefreut und wie suess von euch, dass ihr ein Ritual habt! Dafuer schreiben wir ja viel zu wenig oder? Wir wanderten uebers Wochenende nach Nargakot. Ich versuche mal heute darueber zu berichten 🙂
      Ja, zu wissen was falsch und was richtig ist, da gelanen wir wohl immer an unsere Grenzen.. Und grade Nepal ist fuer mich ein Land der Widersprueche! Eben erst, auf dem Weg zur VHS, da liess ich einen lauten „Iiiiiihhhhh“-Schrei von mir, da aus einem Gulli eine leuchtend-gruene Fluessigkeit auslief (wobei ein Gulli in Nepal schon sehr erstaunlich ist), doch keine 2 Meter weiter blieb ich staunend stehen und konnte nur „Ohhh wow! Schaut mal!“sagen, da der Sonnenaufgang hinter den Bergen ein wunderschoenes Farbenspiel enstehen liess – Nepal, das Land der Widersprueche 🙂
      Larsi, ich freue mich immer so sehr ueber deine Zeilen!!! Vielen, vielen, vielen lieben Dank!!! Ich druecke euch zwei ganz fest und vermisse euch!!! Kuesse und Umarmungen, Eure Melli

  3. P.s. macht euch erst über Rechtschreibfehler lustig wenn ihr einmal mit diesem Handy geschrieben habt. 🙂 Tausche das große gegen ein kleines p bei philosophier. 🙂

  4. als ich diese episode las, erwischte es mich ziemlich unerwartet. oli, dein großer bruder, saß auf meinem schoß, weil er sich so freute, etwas von dir zu hören und so las ich ihm deine (lebens-)“geschichte“ vor. ich fing am ende an zu weinen und oli freute sich ganz ausgelassen, dass du ihn und seinen namen erwähnt hast. ach püti, ein jeder hat sein päckl zu tragen. ich finde deinen versuch einer lösung für euer problem einfach schön, da menschlich.

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